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Lamborghini hat einen ganz besonderen Supersportler in der Mache: Den Aventador SVJ (Superveloce Jota). Das Modell, das die neue Speerspitze der Baureihe sein soll, holt aus dem 6,5 Liter großen V12-Motor 770 PS. Wir konnten den italienischen Boliden schon fahren und haben alle Infos zum Nürburgring-Streckenrekord.
Willkommen im SVJ
Leder. Es riecht hier ganz schön nach Leder. Kein Wunder, denn im neuen Aventador SVJ ist so ziemlich alles mit einem Mix aus Glatt- und Velours-Leder ummantelt, selbst die Sonnenblenden zum Runterklappen und natürlich das Lenkrad. Die Schaltzentralen-ähnliche Mittelkonsole ist mit Carbon-Faser und Klavierlack verziert. Letzteres erweist sich als ziemlich unpraktisch – denn in der Sonne entblößt sich sofort eine Staubschicht.
Die erste offizielle Sitzprobe nach der Premiere in Kalifornien hat der SVJ auch schon mal bestanden.
Und angestaubt will der Aventador Superveloce Jota ja wohl nicht wirken. Tut er natürlich auch nicht. Die Lederschalen umgreifen den Fahrer sicher, höhenverstellbar sind sie jedoch nicht. Die roten Ziernähte verleihen dem ansonsten schwarz-grauen Innenraum ein bisschen Pepp. Neben dem Stier auf dem Lenkrad steht auf dem Handschuhfach in großen Lettern „Lamborghini“ – nicht dass der Fahrer plötzlich noch denkt, dass er in einem R8 sitzt.
Denn ausschließlich Rennmaschine ist der Aventador ja nun auch nicht. Die Tachoinstrumente sind volldigital und lassen sich entsprechend anpassen. Und dann ist da diese Mittelkonsole, auf der ein recht großer Display thront und, na ja, ein paar Knöpfe. 36 Stück, um genau zu sein.
Wer ist der Chef vom Ring?
Doch fangen wir erst einmal ganz von vorne an: Ein normaler Tag im Büro. Messwerte werden ausgewertet, Geschichten geklopft, Abgabetermine nachverhandelt – als das Telefon bimmelt. Lambo ist dran. Ob wir nicht Lust hätten den neuen Lamborghini Aventador Superveloce anzutesten, im kleinen Kreis, in Vallelunga? Eine rhetorische Frage, natürlich hatten wir. Bene! Und pssst, übrigens habe man mit dem Teil soeben einen neuen Rundenrekord auf der Nordschleife aufgestellt. Allora, ciao. Tuut. Tuut. Tuut.
Wie bitte? Ein neuer Chef am Ring? Schon wieder? Keine zwölf Monate nachdem der 911 GT2 RS eine Zeit für die Ewigkeit hingeblättert hat? Sammeln wir uns also erstmal und lassen die Rekordjägerei kurz Revue passieren. Nicht von Adam bis Eva, keine Angst, sondern ab dem 918 Spyder, mit dem der Hickhack einst so richtig Fahrt aufnahm. 2013 stanzte der eine 6.57 in den Nürburgring, die immerhin vier Jahre hielt. McLaren reklamierte zwar, die sieben-Minuten-Marke mit dem P1 ebenfalls geknackt zu haben, blieb aber einer exakten Zeitangabe schuldig. Und das gilt natürlich nicht. So war es Lamborghini, die Porsche vom Thron schubsten – mit dem Huracán Performante, der dem 918er 2017 rund fünf Sekunden abknöpfte. In Zuffenhausen war man damals not amused und auch im Netz wurde derbe geätzt. Das Beweisvideo werde beschleunigt abgespielt, man sei mit Slicks gefahren, der Fahrer mit dem Teufel im Bunde – Zeter, Mordio, Mafia. Berechtigt? Weiß keiner. Es gibt keine Instanz, die das Treiben überwacht. Keinen TÜV, keine FIA, keine Guinness-Gesandten. Auch nicht, als sich Porsche im September des Vorjahres mit einer 6.47 an der Spitze zurückmeldete – übergangsweise, wie wir seit besagtem Anruf wissen.
Ein neuer Ring-Rekord
Dass nun aber ausgerechnet der Aventador ganz oben steht, überrascht schon etwas. Lamborghini sagt selbst, dass der Apparat eigentlich zu groß, zu schwer und zu unhandlich ist, um auf der Rennstrecke Wunder zu vollbringen. Und die 6.44,97 min., die er da nun rausgehauen hat, ist schon ein mittelgroßes. Seit seiner Modellpflege, die ihm neben dem S-Anhängsel auch eine Hinterachslenkung bescherte, bewegt sich zwar schon das Standardauto überaus geschickt, auf dem Kleinen Kurs fehlen ihm zum GT2 RS aber 5,2 Sekunden. Fünf! Komma! Zwei! Und auch wenn Hockenheim und die Nordschleife zwei verschiedene Paar Schuhe sind, ist das schon ein ziemlich weiter Weg.
Sein Geheimnis muss sich demnach hinter den zusätzlichen Buchstaben in seiner Bezeichnung verbergen – dem V und dem J. Ersteres kennt man, es macht den Aventador vom „Super“ zum „Superveloce“, und das schon zum zweiten Mal. Doch weil SV2 – sein interner Name – eher nach einer probiotischen Joghurtkultur klingt als nach einer Performance-Bestie, hat man das Jott, also das Jota, ausgegraben, das seine Dramatik aus der Historie zieht. Jota-Versionen gab es bereits von Miura und Diablo. Beide waren brutale Geräte, definierten das Maximum des jeweils Möglichen. Und der Aventador SVJ steht ihnen da in nichts nach.
Das wird sofort klar, wenn man ihn daliegen sieht in der Boxengasse von Vallelunga, umgeben von flimmernder Hitze und dick eingemummelt in seine Flecktarnfolie, die genauso viel bringt wie eine Perücke bei Pamela Anderson. Seine besonderen Reize kommen jedenfalls auch so bestens zur Geltung: Endrohre auf Augenhöhe mit Hinterherfahrenden, Schlitze in der Schnauze, gefletschter Frontsplitter und als krönender Abschluss ein martialisches Dreibein-Leitwerk, das nicht nur die Optik dominiert.
Superveloce als Opferlamm
Der Aventador SVJ geht mit 770 PS starkem V12 an den Start.
Doch der Jota ist nicht alleine gekommen. Hinter ihm steht sein Vorgänger, der erste SV, der als Referenz dienen soll – oder besser gesagt als Opferlamm zur Veranschaulichung des extremen Leistungssprungs. Kurze Rekapitulation: Superveloce Numero Uno kam vor fünf Jahren mit 750 PS und hat uns damals offenbar ziemlich geflasht. Und auch heute ist er noch ein Riesenspektakel: ein V12-Vieh mit etwas viel Untersteuern wenn‘s ins Haarnadelige geht, dafür mit massivem Antritt und abgöttischer Stabilität in schnellen Passagen. Laut, brutal, grobschlächtig auf der einen Seite, aber supersensibel auf der anderen. Luft nach oben? Wenig bis gar keine, zumindest nicht bei diesen Abmessungen und dem Gewicht. Meinungsstand 2013. Wie man sich täuschen kann!
Doch von nichts kommt nichts. Deshalb hat die Truppe um Entwicklungschef Maurizio Reggiani – Zitat – „die Zitrone diesmal bis zum letzten Tropfen ausgepresst.“ Was er meint, ist ein Litanei an Modifikationen, die den Aventador S zum SVJ machen – und auf dem Nürburgring 2,28 Sekunden schneller als Porsche. Dazu zählen steifere Stabis, die erhöhte Dämpferrate, der rekalibrierte Allradantrieb mit mehr Heckbetonung, die angepasste Hinterachslenkung, der wirkungsgradgesteigerte Unterboden und vor allem das ALA-System, das detailoptimiert, aber prinzipiell unverändert vom Huracán Performante übernommen wurde.
Aerodinamica Lamborghini Attiva regelt den Abtrieb
ALA steht für Aerodinamica Lamborghini Attiva und regelt den Abtrieb über das Öffnen und Schließen bestimmter Kanäle in Front- und Heckflügel bedarfsgerecht. Beim Bremsen wird er erhöht, beim Beschleunigen reduziert. Seine Spezialität ist aber die Kurvenfahrt: Dabei operieren die Komponenten das System asymmetrisch. Geht‘s nach links, wird der Anpressdruck auf der linken Fahrzeugseite erhöht und auf der rechten reduziert, andersrum dasselbe Spiel. Folge: Der Aventador lenkt nicht nur mechanisch ein, zusätzlich strömt er mit Hilfe der Luft ins Eck. Aero-Vectoring nennt sich das.
Und damit sind wir mittendrin im Jota, der übrigens eben jener ist, der die Ringrunde auf dem Buckel hat – also nicht nur der gleiche, sondern derselbe. Drinnen sieht‘s entsprechend wüst aus. Notausschalter, Löschanlage, Käfig, Rennsitz mit Vierpunktgurt. Der Schlüssel wurde mit Tape auf die Mittelkonsole gepappt, die Türverkleidungen – schau einer an – durch labberige Stofffetzen ersetzt. Hat da etwa wer geschummelt? „No no no no,“ kommt es subito wie aus der Pistole geschossen. Man habe nur das Gewicht der Sicherheitsausrüstung kompensiert. Na gut.
Fahrbericht Lamborghini Aventador SVJ
Jetzt also ohne Tarnung, in seiner ganzen Keilheit. In mattrot, ross mimir. Mimir? Keine Ahnung, was das ist? Gegenfrage: Lust auf einen Ausflug in die Mythologie? Nein? Gut. Denn der Aventador reicht als Mythos, erreicht als SVJ eine neue Stufe der Dramatik. Was dir nicht erst dann bewusst wird, wenn du im fünften Gang mit beinahe 280 km/h die Start-Ziel-Gerade von Estoril herunterdonnerst. Im Heck entleibt sich das V12-Triebwerk, zumindest akustisch, dreht kurz vor dem Begrenzer, etwa bei 8.600/min, soweit du das gerade erkennen kannst.
Der große Sportwagen der Italiener trug nie dünne, immer nur dicke Hosen, ganz dicke, jetzt erst recht. Das 6,5-Liter-Aggregat leistet nun 770 PS, soll den trocken angeblich 1.525 Kilogramm leichten Zweisitzer in 2,8 von null auf 100, in 8,6 Sekunden auf 200 km/h schleudern. Glaubst du in diesem Moment. Kurve eins naht, ankern, einl… huch, da isser auch schon abgebogen. Hui. So eng band sich noch nie ein Aventador an seinen Fahrer, ließ ihn immer seine Größe und sein Gewicht spüren, die Reaktionen immer leicht schlumpfig. Selbst, als sie ihm die Allradlenkung mitgaben.
Das Kurzzeit-Phlegma des V12 egalisiert nun ein leichteres Schwungrad, das der Fahrzeugreaktionen ein neues Gehirn. Die Vernetzung aller fahrdynamisch relevanten Systeme wie Lenkung, Dämpfer, adaptiver Aerodynamik und Regelelektronik sei nun fixer, erklären die Italiener. Mag ja sein, doch zunächst merkst du vor allem, dass dir der Aventador direkt in der Handfläche liegt, dass es reicht, ihn in die Wange zu schlenzen, damit er abbiegt. Du musst ihm keinen rechten oder linken Haken mehr verpassen. Jetzt liegt es an dir, diese Direktheit mit der abnormen Breite von über 2,09 Metern (ohne Spiegel!) und den aberwitzig eingezogenen A-Säulen (jetzt aus Carbon) zu einer Bestzeit zusammen zu puzzeln.
Allradantrieb ist im Corsa-Modus frontlastig
Also, das Mut-Steinchen in die Tasche gepackt, und los. Gas. Früh. Früher. Das ALA-System öffnet nun seitenselektiv seine Klappen, immer am entlasten Rad, um so dort den Abtrieb zu erhöhen. Der Allradantrieb schickt im Corsa-Modus eher etwas mehr Drehmoment an die Vorderräder und die hinteren Dämpfer verhärten, um die dynamische Gewichtsverlagerung nach hinten zu reduzieren und so den Grip an der Vorderräder zu erhöhen.
Doch gerade dort verflüchtigt er sich als erstes, leicht untersteuernd jammern die Pirelli-Reifen, suchen nach Halt auf dem zwei Wochen jungen Asphalt in Estoril. Dennoch zeigen sie auch nach mehreren schnellen Runden praktisch keinerlei Verschleiß, was tatsächlich auf einen öligen Belag hindeutet, weniger auf mangelndes Talent des SVJ. Mit ihm fährst du dich erst um den Verstand, dann um Kopf und Kragen, irgendwann inhaliert der V12-Sauger nicht nur Frischluft, auch dich gleich mit. Zumindest fühlst du dich bald als zusätzliche Textilschicht auf den dünnen Sitzschalen, riskierst mal kurz einen Blick in den Rückspiegel, siehst eigentlich nichts aus dem Mittelsteg des Flügels sowie die seitlichen Streben der hinteren Haube.
Chefreporter Jens Dralle konnte den Lamborghini Aventador SVJ schon auf der Rennstrecke fahren und hofft nun, dass die 900 Kunden, die einen SVJ kaufen dürfen, ihn auch gelegentlich mal von der Leine lassen.
Guck nach vorne, schreit das Triebwerk, die innere Parabolica naht, danach wird’s noch kurz hektisch, doppelrechts, dann rechts-links-bergauf. Unterbrochen von Schaltvorgängen mit erheblicher disruptiver Dramatik, das kann das automatisierte Siebengang-Getriebe immer noch nicht so schnell und unmerklich wie ein Doppelkupplungsgetriebe. Aber bei Lamborghini werden sie bald wieder Tarnfolie draufkleben – auf einen völlig neuen Aventador.
Fazit: Natürlich geht dem Lamborghini Aventador auch als SVJ die Handlichkeit des kleineren Huracan Performante ab. Eine Ausfahrt auf der Landstraße? Nein. Zu breit, zu schnell. Viel zu schnell. Aber eben auch: Agil, direkt, unmittelbar. Bei allem. Reaktionen des Motors, Reaktionen des Chassis. Dazu dieser Saugmotor, gleichermaßen Faszinosum und Anachronismus. Hoffentlich lassen die 900 Kunden, die einen SVJ kaufen dürfen, ihn auch gelegentlich mal von der Leine.
Lamborghini Aventador SVJ kostet rund 350.000 Euro
Was wir sicher wissen: Der Lamborghini Aventador SVJ kommt 2019 zum Preis von 349.116 Euro auf den Markt und feiert aktuell seine Premiere in Pebble Beach. Der Supersportler ist auf 900 Exemplare limitiert und steht in Monterey zudem noch in einer speziellen Edition 63. Dieses Carbon-Modell ist auf 63 Fahrzeuge limitiert und soll an das Gründungsjahr der Marke erinnern.
Lamborghini Aventador SVJ | |
Motor | |
Typ | V12, 60° |
Hubraum | 6.498 ccm |
Leistung | 770 PS bei 8.500/min. |
Drehmoment | 720 Nm bei 6.750/min. |
Drehzahl max. | 8.700/min |
Leistungsgewicht | 1,98 kg / PS |
Antriebsstrang | |
Übertragung | Allrad mit Haldex |
Getriebe | 7-Gang-ISR |
Leistung | |
V-max | > 350 km/h |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 2,8s |
Beschleunigung 0 - 200 km/h | 8,6s |
Beschleunigung 0 -300 km/h | 24,0s |
Bremsen 100 - 0 km/h | 30m |
Abmessungen | |
Radstand | 2.700 mm |
Länge | 4.943 mm |
Breite | 2.098 mm |
mit Spiegeln | 2.293 mm |
Höhe | 1.136 mm |
Spurweite vorne | 1.720 mm |
Spurweite hinten | 1.680 mm |
Bodenfreiheit | 115 mm + 2 mm Lifting |
Trockengewicht | 1.525 kg |
Zul. Gesamtgewicht | 2.050 kg |
Verbrauch | |
Kombiniert | 19,6 l / 100 km |
CO2-Emissionen | 425 g/km |
Preis | 349.116 Euro |
Author: Reginald Conway
Last Updated: 1702008603
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